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Einzelausgaben

zenith: Sie sind Menschenrechtsanwalt und haben den Prozess in Koblenz begleitet – und zwar in Form eines Podcasts.
Fritz Streiff: Ich wollte schon länger mal wieder einen Podcast machen und habe auf das richtige Thema gewartet. Dann kam der Prozess und es fiel mir wie Schuppen von den Augen, dass es das Thema sein musste für den Podcast. Direkt kam auch die Idee auf, das zusammen mit Syrern zu machen. Also nicht nur auf Deutsch oder Englisch, sondern auch auf Arabisch, was wir jetzt glücklicherweise hingekriegt haben.
In Ihrem Podcast finden auch Reaktionen von Syrerinnen und Syrern Raum. Welche Bedeutung hat der Prozess in Koblenz für die Menschen in Syrien?
Ich kann natürlich nicht für die Menschen in Syrien sprechen. Trotzdem haben wir versucht, uns ein Bild zu verschaffen, wie der Prozess in Syrien ankommt. Dort sind die Prioritäten einfach komplett andere, gerade jetzt in den Wintermonaten geht es vor allem um Brot und Diesel. Die mentale Kapazität ist gar nicht da, sich mit einem Rechtsverfahren im fernen Deutschland auseinanderzusetzen. Selbst wenn das Interesse vorhanden wäre, ist der Zugang zu Berichterstattung extrem limitiert. Die Medienlandschaft in Syrien ist seit Jahrzehnten völlig kontrolliert vom Regime. Im Internet finden sich mehr Informationen, aber die Überwachung durch die Geheimdienste ist weiterhin so engmaschig, dass sich die Menschen einem Risiko aussetzen, wenn sie regelmäßig Nachrichten auch zu solchen Prozessen in Deutschland und Europa folgen.
Schafft dieser Prozess Gerechtigkeit?
Die Meinungen gehen auseinander. Ich arbeite natürlich viel mit Menschenrechtsaktivisten zusammen, die versuchen, diese Verbrechen aufzuarbeiten und für Menschenrechtsstandards zu sorgen. Diesem Prozess in Koblenz wird in diesen Kreisen eine große Signalwirkung zugeschrieben – kleine, aber wichtige Schritte in die richtige Richtung. Nach zehn Jahren Straflosigkeit ist zum ersten Mal etwas Handfestes vorhanden, von einem unabhängigen, öffentlichen Gericht festgestellt: Das Regime hat Verbrechen gegen die Menschlichkeit begangen.
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Breitbeinig sitzt eine Frau am Schreibtisch. Ein stattlicher Schnurbart ziert ihre Oberlippe. Sie trägt eine blaue Polizeiuniform mit Schirmmütze, wobei das sichtbare ausgestopfte Hemd einen dicken Bauch bildet. Mit dem kleinen Finger pult sie im Ohr und schnipst den gefundenen Dreck weg. Ein Mann kommt herein und möchte eine sexuelle Belästigung melden. Die als Polizist verkleidete Frau winkt ihn näher zu sich heran. Der Mann beugt sich zu ihr herunter: »Ich wurde auf der Straße angefasst«. Die Frau mustert ihn von oben nach unten: »Wo genau wurdest du denn berührt?« – und kneift ihm süffisant lächelnd in die Wange.
Der schmierige Polizist, beziehungsweise die Frau in der Uniform, ist Maria Elayan. Regelmäßig greift sie zu Perücken und Kostümen, verstellt ihre Stimme. Mal ist sie die nörgelnde Tante, dann wieder ein Arzt, der seine Patientinnen ignoriert. Mit kurzen satirischen Videos möchte Elayan auf patriarchale Strukturen aufmerksam machen und traditionelle Narrative zur Rolle von Frauen und Männern in der Gesellschaft hinterfragen.
Die Einspieler sind Teil ihrer Show »Smi‘touha Minni« (Ihr habt's von mir gehört), die die palästinensisch-jordanische Schauspielerin und Produzentin für die feministische Plattform Khateera entwickelt. Elayan möchte keine dieser typischen Monolog-Sendungen moderieren, nicht einfach Informationen runterleiern und die Menschen bevormunden.
Was lustig rüberkommt, ist bis ins Detail geplant
Was lustig rüberkommt, ist bis ins Detail geplant. Für die 24-Jährige ist die Arbeit am Skript der aufregendste Teil, aber auch der schwierigste. Denn bevor gedreht wird, entwickelt sie gemeinsam mit ihrer Kollegin, Regisseurin und Co-Drehbuchautorin Amanda Abou Abdallah ein Grundgerüst für die jeweilige Episode. Danach werden Fakten und Argumente recherchiert, die Elayan und Abou Abdallah später dem Entwurf hinzufügen und weiterentwickeln. Erst zum Schluss kommen die Witze hinzu.
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Jalal Dhiab ist nicht George Floyd. Seine Ermordung 2013 zog keine internationalen Proteste nach sich – selbst im Irak schlug die Tat keine allzu großen Wellen. »Ihr seid wütend über den Mord an einem schwarzen Amerikaner, aber schweigt bei der Ermordung eines schwarzen Bürgers von Basra« – unter diesem Titel veröffentlichte der irakische Journalist Ali Abdulameer Ejam Anfang Juni 2020 einen Video-Aufruf. Er wollte die breite Aufmerksamkeit für den antischwarzen Rassismus in den USA nutzen, um darauf aufmerksam zu machen, dass Schwarze im Irak historisch und noch heute mit ähnlichen Diskriminierungen konfrontiert sind – nur dass es offenbar kaum jemanden interessiert.
Während die Berichterstattung über die Situation von Minderheiten im Irak sich meistens auf ethnische Minderheiten wie die Kurden oder religiöse Minderheiten wie Christen und Jesiden konzentriert, erfährt die Gemeinschaft schwarzer Iraker und Irakerinnen deutlich weniger Aufmerksamkeit. Dabei leben Schätzungen zufolge zwischen 1,5 und 2 Millionen Schwarze im Irak – das entspricht grob fünf Prozent der Bevölkerung. Offizielle, etwa durch einen Zensus erhobene demografische Zahlen liegen jedoch nicht vor.
Wie in den Vereinigten Staaten gelten die meisten Schwarzen im heutigen Irak als Nachfahren von in Afrika geborenen Versklavten. Historisch reicht die Institution der Sklaverei in der islamischen Welt jedoch deutlich weiter in die Vergangenheit zurück als in den USA.
Schon während des Abbasiden-Kalifats im 9. Jahrhundert wurden Menschen von der ostafrikanischen Küste und der Insel Sansibar versklavt und über den Seeweg in die südirakische Hafenstadt Basra verkauft. Sie wurden zu Tausenden in den Marschgebieten des Südirak eingesetzt: Sie mussten die dortigen Böden von dicken Salzschichten befreien, um die Flächen landwirtschaftlich nutzbar zu machen. Die extrem harten Bedingungen der Zwangsarbeit führten dazu, dass der Irak zum Schauplatz eines der historisch größten Befreiungskämpfe von Versklavten wurde: der sogenannten Zanj-Rebellion – Zanj wurden die Schwarzen im Irak genannt, in Anlehnung an den Namen der Insel Sansibar.
Die meisten schwarzen Iraker leben heute im Süd- und Mittelirak, meist in den Außenbezirken der Städte.
Der Befreiungskampf in den Jahren 869 bis 883 richtete sich nicht nur gegen die Halter und Aufseher der Versklavten, sondern forderte gleich die Autorität des Abbasiden-Kalifats an sich heraus. So gelang es den nun Befreiten, mehrere gegen sie entsandte Armeen zu besiegen und selbst verwaltete staatliche Strukturen zu etablieren.
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zenith: Wäre Omar Al-Baschir immer noch an der Macht, wenn sich nicht so viele Frauen gegen ihn gewandt hätten?
Kholood Khair: Früher hielten sich Proteste im Sudan immer nur wenige Wochen, doch diesmal konnte die Bewegung über fünf Monate aufrechterhalten werden und nahm auch mit dem Sturz Baschirs kein Ende. Das gesamte Leben als Frau im Sudan besteht daraus, unfreiwillig Geduld zu üben. Und erst diese Geduld ermöglichte das Durchhaltevermögen der Protestbewegung. Außerdem waren es Frauen, die die Demonstranten mit Tee und Essen versorgten.
So kreierten sie die Atmosphäre, in der lange Sit-ins und Proteste auch im Ramadan erst möglich wurden. Darüber hinaus nahmen Frauen ein viel größeres Risiko auf sich, wenn sie die Nächte auf öffentlichen Plätzen in gemischter Gesellschaft verbrachten. Sie widersetzten sich den gesellschaftlichen Normen, wenn sie demonstrieren gingen. Dass sie es dennoch taten, gab der Bewegung große Glaubwürdigkeit es kann keine Gerechtigkeit geben, die Frauen ausschließt.
Bisher waren Demonstrationen im Sudan vor allem männlich. Wie kommt es, dass diesmal so viele Frauen protestierten und auch die Führung übernahmen?
Ironischerweise spielte dabei Baschirs neoliberales Projekt zur Privatisierung öffentlicher Dienste eine zentrale Rolle: Während des Ölbooms der 2000er entstanden viele private Schulen und Universitäten, was den Zugang zu Bildung enorm erleichterte.
Junge, gebildete Frauen konnten daher ebenbürtig neben den Männern demonstrieren. Zudem entstanden in den letzten 15 Jahren viele weiblich geführte Initiativen zur Verbesserung der Situation von Frauen. Diese NGOs leisteten wichtige Bildungsarbeit und erinnerten die Menschen daran, wie wichtig Geschlechtergerechtigkeit und Gleichstellung sind – was viele seit der Machtergreifung der Islamisten vergessen hatten. Außerdem begriffen viele Frauen, wie viel sie durch den Fall dieser Partei und ihres Systems zu gewinnen hatten. Frauen litten stärker unter dem Status quo als Männer.
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Im Granatenbeschuss zwischen zwei Stadtvierteln verpuffte Hassan Bechlawis Hoffnung auf eine akademische Zukunft. »Du bist Alawit, wir werden auf dich schießen!«, drohten ihm Kommilitonen. 2012 war das, Bechlawi war 18 Jahre alt und hatte gerade sein Studium an der staatlichen Libanesischen Universität in der Hafenstadt Tripoli begonnen. Aus Angst vor den Drohungen brach er es ab – zumindest vorerst.
Schätzungsweise 120.000 Angehörige der muslimischen Minderheit der Alawiten leben im Libanon, viele von ihnen fühlen sich Syrien verbunden. Der Krieg im Nachbarland prägt ihr Leben, ebenso wie die Wirtschaftskrise im Libanon und seit dem Frühjahr auch die Einschränkungen durch die Corona-Pandemie.
Die meisten Alawiten im Libanon leben in dem hügeligen Landstrich von Akkar, der sich hinter Tripoli nach Norden ausbreitet. Ihr traditionelles Herkunftsgebiet ist das syrische Küstengebirge, der Stammsitz der syrischen Präsidentenfamilie Al-Assad, die selbst der alawitischen Glaubensgemeinschaft angehört. Entlang der Schotterstraßen in Akkar entfaltet sich ein für den Libanon ungewöhnliches Straßenbild. Wo sonst die politischen Führer des Landes wie Hizbullah-Generalsekretär Hassan Nasrallah oder der christliche Präsident Michel Aoun von Plakaten an Hauswänden herabblicken, hängen in Akkar lebensgroße Poster von Baschar Al-Assad.
So auch an einem Betonhaus in Massoudieh, einem verschlafenen alawitischen Dorf, nur wenige Kilometer vom libanesisch-syrischen Grenzzaun entfernt. An der Wand hängen zwei verblichene Portraitsdes syrischen Präsidenten. Vor ungefähr zehn Jahren hat Zahia Farahat die Poster an ihrer Hauswand befestigt. Die 46-Jährige lebt in ärmlichen Verhältnissen und kann weder lesen noch schreiben. Aufgrund der anhaltenden Wirtschaftskrise im Libanon ist sie auf die Unterstützung ihrer drei Schwestern angewiesen. Eine der Schwestern ist Farah.
Die Schwestern reden bereitwillig über ihre Sorgen, ihren richtigen Namen wollen sie aber lieber nicht in einer Zeitschrift sehen. Farah ist 40 Jahre alt und Mutter von drei Kindern. Ihr Mann arbeitet als Zeitarbeiter in der Landwirtschaft und verdient rund 10.000 libanesische Pfund am Tag – umgerechnet circa zwei Euro. »Ich kann meine Kinder kaum ernähren«, klagt Farah.
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Erst verschwand die Glorifizierung von Mubarak, dann kamen die Revolutionen. Auch wenn das ägyptische Bildungsministerium die Schulbücher jährlich für das neue Schuljahr überarbeiten lässt, dauerte es eine Weile, bis die Ereignisse des Jahres 2011 in die Schulbücher gelangten.
Vor 2011 war in den Geschichtsbüchern mindestens ein Teilkapitel dem Präsidenten Hosni Mubarak und seiner Führung der Luftwaffe im Oktoberkrieg 1973 gewidmet. Seit dem Schuljahr 2013/14 ist dieser Abschnitt nicht mehr zu finden. Ein Jahr später wurden die Geschichtsbücher der 12. Klasse um ein Kapitel zur »Revolution vom 25. Januar 2011 und der Revolution des 30. Juni 2013« erweitert. Insgesamt 15 Seiten stellten »beide Revolutionen« und ihren Kontext dar.
Das Schulbuch für das Fach »Tarbiyya Wataniyya«, das sich am besten mit Nationalkunde übersetzen ließe, behandelt in der Ausgabe für das Schuljahr 2015/16 ebenfalls »die beiden Revolutionen«. Der Einband zeigt Bilder mit dem Tahrir-Platz voller Demonstranten, Demonstrierende mit ägyptischen Fahnen und die Waage der Justitia in den Farben der ägyptischen Flagge. Neun Seiten widmet das Buch dem Kapitel »Revolution als politische Partizipation«, das zunächst den Begriff Revolution definiert und sich ausführlich mit »Werten der Revolution« sowie Zielen, Ursachen und Folgen »der zwei Revolutionen« befasst.
Dass die Debatten um die politische Einordnung der Ereignisse von 2011 und 2013 damit nicht abgeschlossen waren, zeigte sich zwei Jahre später. In den Schulbüchern für 2017/18 wurden die jeweiligen Abschnitte in beiden Fächern signifikant gekürzt. Im Nationalkundebuch umfasst das Kapitel »Revolution als politische Partizipation« nun zwei anstelle von neun Seiten. Das Geschichtsbuch kürzt die Revolutionen von 15 auf 3 Seiten.
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